Darauf eine „süße Tüte“

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Der 1. Kioskclub 06 aus Dortmund hat 2016 zum „Jahr der Trinkhallen“ und den 20. August zum „1. Tag der Trinkhallen“ im Ruhrpott ernannt. Ich finde: Nicht nur im Zentrum Nordrhein-Westfalens gibt es gute Gründe, die kleinsten unter den Einkaufsparadiesen hochleben zu lassen. Eine kleine Laudatio – diesmal ganz unerfunden!

„Eine Tüte gemischt bitte – mit Lakritze!“

Der Edeka um die Ecke hat inzwischen bis 22 Uhr geöffnet. Sollte ich also nach 20 Uhr feststellen, dass der Abend ohne eine Tüte Essigchips nur halb so nett wäre, kann ich mir rechtzeitig vor Filmstart auf dem Sofa noch eine im Supermarkt nebenan kaufen. Vorbei die Zeiten der Kioske, Spätis oder Trinkhallen? Nein! Sie haben ihre Stammplätze erfolgreich verteidigt. Zum Glück! Ohne die Minimärkte würde mir definitiv etwas fehlen – und nicht nur eine Tüte Chips.

Wenn ich – egal in welcher Stadt – einen Kiosk betrete, gleicht das einer Reise in ein Konsumwunderland en miniature: Zigaretten, Lottoscheine, Postkarten, Bild-Zeitung und Schnaps in Hostentaschen kompatiblen Flaschengrößen überraschen mich nicht. Viel spannender sind die kleine unerwarteten Entdeckungen. In einigen Kiosken bin ich in den Regalen neben Taschentüchern und Dosenwürstchen auch schon auf Gläser mit heimischem Honig gestoßen. Einige Kioskbetreiber erweitern ihr Angebot je nach persönlichen Hobbys auch mit selbstgenähter Babykleidung, einer kleinen Flohmarktabteilung (irgendwas ist ja immer über…) oder einmal wöchentlich geräuchertem Fisch (Gruß nach Oldenburg!).

Was auf keinen Fall fehlen darf, sind die Stapelboxen mit weißen Mäusen, blassen Schlümpfen mit blauen Mützen, Schaumerdbeeren und den sauren Streifen, die den Gaumen ein bisschen anschmirgeln. Eins ist klar: Ohne eine „süße Tüte“ für einen oder auch mal zwei Euro verlasse ich keinen Kiosk. Auf meine Standard-Bestellung „Eine Tüte gemischt bitte“ folgt verlässlich die Standardgegenfrage: „Mit oder ohne Lakritze?“. Für mich gilt: Gemischt ist gemischt. Und wer keine Lakritze mag, kann sie ja zufällig anwesenden anderen Personen anbieten. Die Art und Weise, wie jemand eine Lakritzschnecken isst – erst sorgfältig entrollen und dann wie Spaghetti langsam in den Mund ziehen oder gleich genussvoll reinbeissen – ist ein super Gesprächsthema und verrät auch gleich eine Menge über den jeweiligen Esser.

In den ersten Trinkhallen, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnet wurden, war das Sortiment übrigens wesentlich begrenzter: Es gab Mineralwasser und andere nicht alkoholische Getränke. Dahinter steckte die Idee der damaligen Stadtväter, Fabrikarbeiter davon abzuhalten, ihren Durst während und nach körperlich anstrengender Arbeit mit Hochprozentigem zu stillen. Leitungswasser war keine Alternative: ungekocht sollte man es schon einmal gar nicht genießen, es sei denn, man wollte sich krank melden. Die Kiosk-Idee selbst ist aber noch wesentlich älter: Sie soll sogar bis ins alte Ägypten zurückreichen.

Historische und aktuelle Details über Deutschlands besondere Minisupermärkte verrät Dr. Elisabeth Naumann in ihrem Buch „Kiosk. Entdeckungen an einem alltäglichen Ort. Vom Lustpavillon zum kleinen Konsumtempel“. Die Autorin, eine rund 80jährige Dame, hat über das Thema ihre Doktorarbeit am soziologischen Institut der Freien Universität Berlin geschrieben. Ihr Fokus: Frittenbuden.

Übrigens werden neben den kleinen Allroundern nach Tante-Emma-Vorbild nicht nur Fritten-, sondern auch HotDog-Buden als Kioske bezeichnet. Ein Beispiel, das es sogar zu einem eigenen Eintrag bei Wikipedia, einer eigenen facebook-Seite und einem Ehrenpreis auf der Hotdog DM 2014 in Aarhus (!) gebracht hat, ist „Annies Kiosk“ – eine kleine, unscheinbare gelbe Bude in Sønderhav, kurz hinter Flensburg und der Grenze zu Dänemark. Da gibt es nicht nur „das leckerste Soft Is, die besten Hot Dogs“, sondern auch „eine traumhafte Aussicht“, postet eine Besucherin. Womit das Sortiment von Kiosken erneut kreativ erweitert wurde.

Das Wort „Kiosk“ ist übrigens laut etymologischem Wörterbuch von Persien über das türkische köşk (Gartenhäuschen) und das französische kiosque (offener Gartenpavillon) nach Deutschland gereist, um dort auf wahlweise beleuchteten Schildern zu prangen – wie bei Annie gern kombiniert mit dem Namen der Betreiberin oder des Betreibers.

Ohnehin gehören die Menschen hinter den Tresen oder dem Verkaufsfenster einfach zum „Inventar“: In Kiosken trifft man echte Originale, die es sich in ihrem Mikrokosmos rundum komfortabel eingerichtet haben. Um im Bilde zu sein, brauchen sie die Klatschblätter aus den Zeitschriftengestellen nicht zu lesen. Sie kennen fast jeden Kunden aus ihrem Quartier und könnten beim Wissensquiz um deren Lebensgeschichte und -geschichtchen mit jedem Friseur und Kneipenwirt mithalten.

Warum also dem 1. Kioskclub 06 aus Dortmund und den Bewohnern der Metropole Ruhr das Feiern überlassen? Wir machen mit! Eine Tüte gemischt bitte – mit Lakritze“.

Wer den 1. Tag der Trinkhallen am 20. August an der Ruhr feiern möchte: Eine Übersicht über die geplanten Aktivitäten gibt es unter www.tagdertrinkhalle.de.